Dieselskandal: Justizminister für Vorabentscheidungsverfahren
Allein 30.000 Zivilklagen von Dieselfahrern beschäftigten die Oberlandesgerichte im Jahr 2020, Tendenz steigend. In den ersten Monaten 2021 steigen die Klagen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal abermals an – und dies, obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) vor mehr als einem Jahr ein Grundsatzurteil gegen Volkswagen sprach und getäuschten Kunden einen Schadensersatz zusprach. Auf solche massenhaft auftretenden Klagephänomene, die sich aktuell etwa gegen Daimler, Wirecard oder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY abzeichnen und die Gerichte an die Grenzen ihrer Auslastung führen können, wollen die Bundesländer künftig effektiver und vor allem schneller reagieren.
Höchstgerichtliche Vorabentscheidung möglich
Auf der diesjährigen Konferenz der Justizminister (JuMiKo) wurde daher die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den Bundesgerichtshof (BGH) thematisiert. Dazu heißt es in dem gemeinsamen Beschluss der Konferenz: „Die Justizministerinnen und Justizminister sprechen sich im Rahmen der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie dafür aus, ein Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof im Zivilprozessrecht oder vergleichbare Maßnahmen zu prüfen, wodurch die Instanzgerichte eine – vergleichsweise zügige – höchstrichterliche `Vorabentscheidung´ über grundsätzliche Rechtsfragen mit Bedeutung für eine Vielzahl von Einzelfällen herbeiführen könnten.“ Dafür soll nun eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, um die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof oder andere verfahrensrechtliche Lösungen zu prüfen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten.
BGH soll Grundsatzfragen im Abgasskandal vorab klären
Den Gerichten in den Eingangsinstanzen soll es durch diese Initiative ermöglicht werden, den Bundesgerichtshof zu grundsätzlichen Rechtsfragen anzurufen, wenn sie eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle betreffen. Der Zivilprozess ruht dann, bis eine Entscheidung aus Karlsruhe vorliegt. Die Vorlage soll im Anschluss daran veröffentlicht werden, damit nicht weitere Gerichte in derselben Causa aktiv werden müssen.
Der aktuelle Vorsitzende der JuMiKo Peter Biesenbach (CDU), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, hat sich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wie folgt geäußert: „Die schnelle höchstrichterliche Klärung von Grundsatzfragen ist in einem Rechtsstaat von besonderer Bedeutung“. Vor allem in Massenklagen würden die Fälle bislang häufig unterschiedlich entschieden. Bis zur Klärung durch den Bundesgerichtshof schwebe daher ein Damoklesschwert über den streitenden Parteien, sagt Biesenbach.
Bei VW sind von der Erhebung der ersten Klage im Herbst 2015 bis zum Grundsatzurteil mehr als viereinhalb Jahre vergangen. Zeichnete sich eine Niederlage ab, bot der Autokonzern bis dato betroffenen Klägern Vergleiche an. Bislang hätten beklagte Autohersteller in Massenklagen versucht, Entscheidungen aus Karlsruhe durch „taktische Spitzfindigkeiten“ zu vermeiden, kritisiert Biesenbach das Vorgehen. Das Vorhaben, das der Bundesgesetzgeber auf den Weg bringen müsste, bringe laut Biesenbach den Vorteil „schneller Klärung, einheitlicher Rechtsprechung und Rechtsfortbildung“.
Daimler verstärkt betroffen
Laut Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, häufen sich derzeit die Klageeingänge vor allem gegen Daimler. Das Oberlandesgericht München vermeldet, dass sich die Daimler-Verfahren nach dem ersten Jahresdrittel 2021 bereits auf dem Niveau des Gesamtjahres 2020 befänden. In Stuttgart werden aktuell 1500 Daimler-Fälle verhandelt, womit sich die Zahl in den ersten vier Monaten 2021 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres fast verdreifacht habe.
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