Dieselskandal: Thermofenster allein genügt nicht für Schadenersatz

Der Einsatz von Thermofenstern in Mercedes-Dieseln ist an sich nicht sittenwidrig, urteilt der Bundesgerichtshof (BGH). Der Fall ist damit aber noch nicht abgeschlossen.

Im Dieselabgasskandal hat der Automobilhersteller Daimler vor dem Bundesgerichtshof einen Etappensieg erzielt. Die höchsten deutschen Zivilrichter erklärten, dass der Einbau eines Thermofensters allein noch keinen Anspruch auf Schadenersatz rechtfertige (Az. VI ZR 128/20). Ein Thermofenster legt einen Temperaturbereich fest, in dem die Abgasreinigung reduziert oder sogar abgeschaltet wird. Die Technik wird in der Autoindustrie häufig eingesetzt.

Der Europäische Gerichtshof hatte im Dezember 2020 in einem ähnlich gelegenen Fall gegen Volkswagen deutlich kritischer entschieden (C-693/18). Nur wenn ein Motorschaden plötzlich und gewaltsam auftrete, sei eine Abschalteinrichtung zur Vorbeugung zulässig, so das Verdikt der Höchstrichter damals. Der BGH hatte jedoch bereits im Januar und bei der mündlichen Verhandlung zur aktuellen Dieselklage durchblicken lassen, dass ein eingebautes Thermofenster allein die Autohersteller nicht zum Schadensersatz verpflichtet - anders als eine Software, die zwischen Prüfstand und normalem Fahrbetrieb differenziert.

Unterschiede von Daimler und VW

Genau in diesem Umstand unterscheidet sich Daimler von Volkswagen. VW hatte in Millionen Dieseln eine Betrugssoftware eingesetzt, die in Tests verschleierte, dass zu viele Schadstoffe ausgestoßen wurden. Im Gegensatz dazu gebe es bei Daimler keine Software, die in einen anderen Modus schalte, wenn das Auto auf dem Prüfstand stehe, führte der Senatsvorsitzende Stephan Seiters in Karlsruhe. Das Thermofenster arbeitet also grundsätzlich gleich, egal ob auf der Straße oder im Test, der Einsatz allein reicht allerdings nicht aus, um Schadensersatz auszulösen. Dazu bräuchte es Hinweise auf ein „besonders verwerfliches Verhalten“ bei Daimler-Verantwortlichen. „Dies ist im Streitfall nicht festgestellt“, erklärt der BGH.

Hoffnung für Kunden

Daimler begrüßte das Urteil naturgemäß, aber auch Klägeranwälte sehen in der Entscheidung auch Grund zur Hoffnung für Dieselkunden. Der Grund dafür: Der sechste Zivilsenat des BGH hob mit seiner Entscheidung das Urteil der Vorinstanz auf und forderte das Oberlandesgericht Karlsruhe auf, erneut über den Fall zu verhandeln.

Der Kläger, welcher im Jahr 2012 für 35.000 Euro einen neuen Mercedes C220 BlueEfficiency mit dem Dieselmotor OM651 gekauft hatte, hatte bemängelt, dass neben dem Thermofenster weitere Abschalteinrichtungen verbaut sind. Das Oberlandesgericht hatte das ignoriert. Zu Unrecht, wie der BGH befindet.

ADAC sieht die Sache skeptisch

Eine Juristin beim ADAC ist in der Bewertung des BGH-Urteils etwas vorsichtiger: Für Daimler sei das Urteil ein Erfolg, weil Klagen wegen des Thermofensters nun auch höchstrichterlich eine Absage erteilt worden sind: "Damit dürften sich Tausende von Klagen erledigt haben". Auf der anderen Seite habe der BGH eine Tür geöffnet, die die Vorinstanz zugeschlagen hatte. Doch dass das Oberlandesgericht Karlsruhe nun prüfen muss, ob andere unzulässige Vorrichtungen verbaut worden sind, bedeute nicht, dass diese Klage damit automatisch auf Aussicht auf Erfolg hat.

Deutlich mehr Klagen gegen Daimler

Während die Klagen gegen Volkswagen langsam abnehmen, rückt zunehmend Daimler in den Focus der Dieselklagen. Das Oberlandesgericht Stuttgart, an dem Daimler seinen Unternehmenssitz hat, verzeichnete im vergangenen Jahr mit über 4800 neuen Abgasfällen den stärksten Zuwachs, in den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen bereits weitere 2320 Berufungen hinzu. Nach Angaben des Deutschen Richterbunds haben sich die Fälle gegen Daimler 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast verdreifacht.

Dass die meisten Klagen gegen Daimler gescheitert sind, führt die ADAC-Juristin darauf zurück, dass die Fälle VW und Daimler nicht vergleichbar seien. Nach Meinung der meisten Gerichte sei ein "arglistiges Vorgehen" wie bei VW bei Daimler nicht zu erkennen. Unterm Strich müssen Kläger Daimler nicht nur unzulässige Technik, sondern auch eine arglistige Täuschung nachweisen. "Die Hürden für Diesel-Besitzer, gegen den schwäbischen Autobauer wegen der Abgasaffäre erfolgreich auf Schadensersatz zu klagen, sind also höher als im Fall von VW", führt die Expertin aus.

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Dieselskandal Symbolbild

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